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China – ein Land im Aufbruch

Mercedes Magazin, 2011

China – ein Land im Aufbruch

Interview mit Jürgen Hunke

SLR.Club. Magazin: Sie waren of ist China unterwegs. Welche Orte haben Sie im Einzelnen bereist?

Jürgen Hunke: Meine erste Reise führte mich im Jahr 1991 in das damalige Peking, gemeinsam mit einigen Journalisten. Es war meine erste Begegnung mit dem Land China mit schwerpunkt Peking, chinesisch „Beijing“. Die Volksrepublik war noch ziemlich verschlossen, vielen Menschen ohnehin unbekannt – das alte china eben.

In einem deutsch-chinesischen Institut konnten wir Eindrücke austauschen und insbesondere in die Welt der chinsesischen Medizin eintauchen. Funsere Reise fand im Dezember und Januar statt, es war ungemütlich kalt, vergleichbar mit europäischen Winterwochen. Auf Tagesausflügen haben wir die gewaltige chinesische Maueter bewundert, noch mehr allerdings das Maß an Disziplin, das die Menschen dort Tag für Tag leben.

Mitte der 1990er Jahre führte mich meine zweite China-Reise nach Shanghai, inzwischen die am schnellsten wachsende Stadt der Welt, aber schon damals lebendiger, urbaner, sogar fast geheimnisvoller als Peking. Später lernte ich die Provinzen Kanton, Guandong und Guangxi kennen und erlebte, wie sich die Gesellschaft, die Menschen, aber auch Städte und Landschaften veränderten.

Eine meiner jüngsten China-Reisen auf die Insel Hainan in Sanya bewies mir, welche gewaltigen Wandlungen das Land sogar im touristischen Bereich in Gang setzt. Die Insel gilt als „das chinesische Hawaii“. Mehr als 20 Fünfsterne-Hotels wurden dort alleine in den letzten Jahren gebaut. Ein weiteres Indiz dafür, dass hier andere Maßstäbe gelten als anderswo. China ist eine Art eigener Kontinent, das Wort „Land“ wird ihm nicht gerecht. Zudem hat jede Provinz eine eigene Vergangenheit und wird von Menschen mit einen Sprachgewohnheiten und eigener Kultur bewohnt. Das macht das riesige Reich so vielfältig und so faszienierend.

SLR.Club. Magazin: Welche Orte haben Sie dabei besonders beeindruckt?

Jürgen Hunke: Dazu fallen mir einfache, kurze Antworten schwer. Das Land ist einfach zu groß und zu unterschiedlich, von schneebedeckten Gebirgen über fast monotone, unkultivierte Landschaften bis zu den Inseln vor der Küste. Westeuropäer sind besonders schnell beeindruckt von Shanghai, wo die Chinesen beweisen, zu welchen städtebaulichen und technischen Leistungen sie fähig und willens sind. Hier wird – ähnlich wie in den Emiraten – der weltweite Wettbewerb gesucht. Alles, was es bisher gegeben hat, soll übertroffen werden. Leider, und mich betrübt das, wird dabei häufig alles, was wir unter chinesischer Kultur kennen und schätzen, über Nacht zerstört und ausradiert

SLR.Club. Magazin: Welche Faktoren beeinflussen Ihrer Meinung nach Chinas Entwicklung am stärksten?

Jürgen Hunke: China plant nach meiner Beobachtung eine gigantische Entwicklung seiner Fähigkeiten vor allem nach ökonomischen Gesichtspunkten. 150 neue Flughäfen sind im Bau. Mit breiten, modernen Fernstraße wird das gesamte Land erschlossen. Bekanntlich galt eine Eisenbahn-Verbindung nach Tibet noch vor Jahren als ausgeschlossen – bis chinesische Ingenieure und Arbeiter das Gegenteil bewiesen. Offenbar hat die chinesische Führung verstanden, dass vor allem Logistik zählt. In anderen asiatischen Ländern ist sie schwach oder unterentwickelt und bremst dort die Industrialisierung des Landes. In Indien liegt das Durchschnittstempo eines Lastwagens bei 10 km/h.

Chinas Regierung dringt auf Führung auf allen Gebieten. In einem staatkapitalistischen System einzigartiger Form. Die Ideologie dient dabei vor allem der wachsenden Bedeutung des Landes und seinem immer deutlicher werdenden internationalen Einfluss. Es ist heute, schon gar nicht aus Europa, so gut wie nicht zu erkennen oder zu bewerten, was vom „alten China“ nach diesem Bau- und Industriealisierungs-Boom erhalten bleiben wird. Meine Phantasie reicht auch nicht dazu aus, mir ein Urteil zu erlauben.

Seit kurzem hat China Deutschland als größte Exportnation der Erde abgelöst. Diese Stellung wird China meiner Meinung nach auf Kosten bequemer gewordener wohlhabender Völker rasch ausbauen, in jeder Hinsicht. Auf Dauer wird China wohl seine Billigprodukte mehr ins Landesinnere verlagern und, sobald genügend Maschinen und Industrieanlagen entwickelt oder beschafft sind, die anspruchsvolleren, teureren Produkte küstennah produzieren. Nach meiner Beobachtung wird das eine der spannendsten volkswirtschaftlichen Entwicklungen in der Welt werden. Das halte ich jedenfalls für Wahrscheinlich.

SLR.Club. Magazin: Worin unterscheidet sich die Kultur Chinas von anderen Ländern Asiens?

Jürgen Hunke: Die Entwicklung einer neuen chinesischen Kultur wird nach meiner Ansicht erst dann einsetzen, wenn die heutige Generation ihre wichtigsten individuellen Ziele erreicht hat: endlich reisen, Sprachen lernen, eine eigene, schöne Wohnung bewohnen und – ein eigenes Auto fahren. Also ganz normale Wünsche moderner Menschen im Computer-Zeitalter.

Chinesen sind durchaus anders als andere asiatische Völker oder Kulturen. Sie sind vor allem stolz auf ihr Land, seine Geschichte und das riesige kulturelle Erbe. Chinesen sind erkennbar vaterslandsliebend und bereit, für ihr Land zu opfern. Die meisten Menschen in China haben eine vorzügliche Kenntnis ihrer nationalen Vergangenheit und sind bereit, mit einem für Europäer schwer vorstellbaren Fleiß und sehr großer Disziplin für die Zukunft ihres Landes zu arbeiten.

So sehr dieses bewundernswerte Eigenschaften sind, so deutlich auch meine Beobachtung, dass sich Chinesen aufgrund ihrer Jahrtausende alten Geschichte und Kultur häufig anderen Kulturen überlegen fühlen. Überwiegend aber sind Chinesen selbstbewußt und optimistisch. Nichts wäre falscher, als das Land auf ein Entwicklungsland oder womöglich eine kommunistische Diktatur bekannter Art zu reduzieren. Die Zeiten sind lange vorbei.

SLR.Club. Magazin: Welche Tour würden Sie den SLR.Club Mitgliedern empfehlen?

Jürgen Hunke: Meine Lebenspartnerin ist Chinesin. Sie studiert in Hamburg Sport und Bewegung. Auch durch sie habe ich das land mit neuen Augen gesehen. Vor allem: China ist nicht auf Peking oder Shanghai zu reduzieren, sondern ein Land mit eineinhalb Milliarden Menschen so vielen Facetten, dass nur jedem empfohlen werden kann, möglichst bald dorthin zu fliegen, um sich selbst ein Bild zu machen.

Den SLR.Club Mitgliedern würde ich immer empfehlen, über Hongkong einzureisen, die außerordentlich beeindruckende Provinz Guangxi und die Stadt Guanzhou zu erkunden, anschließend per Eisenbahn nach Shanghai fahren, in diese Weltmetropole tief einzudringen, um denn schließlich erholsamere Tage auf der Insel Hainan zu verbringen. Jeder Tag lohnt sich.

Mercedes Magazin, 2011